Warum Bücher (nicht) warten dürfen
Über ein Missverständnis, das richtige Timing und Lebenssätze zwischen Buchdeckeln
Kaufen und Lesen: getrennte Welten
Es gibt dieses Missverständnis zwischen Lesern und Nichtlesern: dass man Bücher kauft, um sie zu lesen. Daraus entstehen kann - im besten Falle - Neugier auf einen Menschen, der ein Buch kauft, obwohl sein »Mein nächstes Buch«-Regal sich bereits unter der Last der wartenden Bücher krümmt. Irritation und Unverständnis – damit lässt sich irgendwie umgehen. Unwille, Unmut – wenn man Konto und/oder Regale teilt.
Natürlich kauft man ein Buch, um es zu lesen. Nur eben nicht sofort. Vielleicht auch nicht bald. Manchmal nicht in den kommenden Jahren.
Die Erklärung ist einfach: Das Kaufen und das Lesen von Büchern sind zwei völlig verschiedene Dinge. Manchmal besteht ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen beiden – oft nicht.
Es ist wichtig, viele Bücher zu haben (nicht irgendwelche!), denn – und hier kommt die zweite Erklärung zur Auflösung des Missverständnisses – jedes Buch hat seine Zeit. Jawohl. Notwendige Konsequenz daraus: Das Buch muss da sein, wenn seine Zeit gekommen ist.
Im Englischen gibt es den wunderbaren Satz: »It’s not hoarding when it’s books.«, der sich nur unzulänglich ins Deutsche übersetzen lässt: »Es ist kein Horten, kein Ansammeln, wenn es sich um Bücher handelt.« Es ist reine Logik, pure Notwendigkeit. Weshalb man auch kaum zu viele Bücher haben kann.
Ernster und berührender Kontrapunkt: Lizzie Doron, eine israelische Autorin, hat ihre Bibliothek im Schutzraum des Hauses eingerichtet. Dort ist sie – die Bibliothek – bei Angriffen sicher. Und bei Luftalarm flüchtet Doron dorthin: mit Leib, Seele und Geist.
Was darf bleiben?
Von den ungelesenen Büchern zu den gelesenen: Welche behältst du? Und warum? Ich versuche, nur Bücher zu behalten, die mir etwas bedeuten (neben denen, die noch auf ihre Zeit warten). Die, deren Geschichte mich berührt hat, die von einer besonderen Figur erzählen, oder die – und das ist der häufigste Fall – Zitate bergen, die ich nicht verlieren möchte.
Ein solches Zitat wird mit Bleistift markiert, die Seite mit einem Papierschnipsel wieder auffindbar. Ich liebe es, wenn mein Blick über die Buchrücken wandert (wahrscheinlich auf der Suche nach dem Buch, dessen Zeit gekommen ist), und an einem dieser sichtbaren Schnipsel hängenbleibt: »Oh, welches Buch ist das? Und welcher Gedanke war darin?« Mal fällt es mir gleich ein, mal ziehe ich das Buch zwischen seinen Nachbarn heraus, öffne es auf der beschnipselten Seite, suche die markierte Stelle – und freue mich, als würde ich in einer Menge einen vertrauten Menschen entdecken.
Am liebsten und immer wieder bleibt mein Blick an Friedrich Ani hängen. Es ist eines der wenigen Bücher, die nur einen Schnipsel in sich tragen, doch der ist umso wichtiger für mich. Ich muss das Buch nicht einmal aufschlagen, der Satz ist sofort da. Und ich weiß, ich hätte diesen Text runder abschließen können, ich weiß, der Satz hat nichts mit Büchern zu tun – aber er kommt aus einem Buch, das seine Zeit vor vielen Jahren hatte. Und das immer seinen Platz in meinem Regal haben wird, weil es diesen Satz, diesen Schatz, in sich trägt: »Nimm dein Leben nicht zu persönlich.«
Gefällt dir der Text? Dann lass ein Herz da (unterer Rand) - dann weiß ich es und der Text zieht Kreise :-)
Bücher + Vorträge von mir findest du hier: https://shor.by/EvaStrehler
„Nimm Dein Leben nicht zu persönlich“ .. WAS für ein Satz. wow 🤩